Doch nicht ganz so „rechts“? Die Jugend und eine Studie, die ergeben hat …

Erinnern Sie sich noch an den Beitrag Eine repräsentative Umfrage hat ergeben … Wie sieht es aus, mit „der Jugend“ in Deutschland?, den ich hier am 23. April veröffentlicht habe? »Eine repräsentative Befragung zeigt: Die junge Generation in Deutschland blickt düster in die Zukunft. Viele klagen über mentale Belastung und sind politisch unzufrieden. Davon profitiert offenbar vor allem die AfD«, so begann einer der vielen Artikel, die über die Trendstudie “Jugend in Deutschland 2024: Verantwortung für die Zukunft? Ja, aber“ berichtet haben. „Wir können von einem deutlichen Rechtsruck in der jungen Bevölkerung sprechen. Das schlägt sich in den politischen Präferenzen der 14- bis 29-Jährigen nieder. Während die Parteien der Ampelregierung in der Gunst immer weiter absinken, hat die AfD besonders großen Zulauf“, wird der Studienautor und Bildungsforscher Klaus Hurrelmann von der Hertie School Berlin zitiert.

Und nun kommen solche Artikel: Ist die Jugend doch nicht rechts? »Eine Studie ergab, dass die AfD bei Jungwählern die beliebteste Partei ist. Aber nun gibt es Zweifel an den Ergebnissen«, berichtet Mark Schieritz in der ZEIT. Was soll da los sein?

Er schildert kurz den besonderen Ausgangspunkt: »Es kommt nicht häufig vor, dass Umfragen der politischen Debatte eine neue Richtung geben, in diesem Fall war es so: Die AfD sei unter jungen Leuten die beliebteste Partei, heißt es in der vor zwei Wochen veröffentlichten Trendstudie Jugend in Deutschland. Demnach gäben 22 Prozent der 14- bis 29-Jährigen den Blauen ihre Stimme. Über die Ergebnisse der Untersuchung wurde ausführlich berichtet, auch in der ZEIT. Die Kommentatoren waren überrascht bis alarmiert: Was bedeutet es für die Zukunft der Demokratie, wenn Jüngere sich in so großer Zahl für eine Partei am rechten Rand begeistern?«

So weit, so bekannt. Und was ist nun anders bzw. was rechtfertigt die in der Überschrift des Artikels verwendete zweifelnde Überschrift „Ist die Jugend doch nicht rechts?“.

»Das Meinungsforschungsinstituts Forsa hat nun eine Umfrage veröffentlicht, die zu einem ganz anderen Ergebnis kommt. Ihr zufolge liegen die Grünen bei Jungwählern mit 21 Prozent vorne (zusammen mit der Union). Die AfD kommt nur auf 14 Prozent.«

Das ist erst einmal ein erheblicher Unterschied – 22 Prozent hier und 14 Prozent da. Aber es geht noch weiter:

»Die Jugendstudie zeichne ein „völlig verzerrtes“ Bild der Realität, so Forsa-Chef Manfred Güllner.«

Starker Tobak.

Mark Schieritz begibt sich auf Spurensuche für die erhebliche Diskrepanz der AfD-Anteile.

»Eine mögliche Erklärung für die unterschiedlichen Ergebnisse: die Zusammensetzung der Gruppen. Forsa befragte junge Menschen im Alter von 18 bis 29 Jahren, damit fehlen im Vergleich zur Jugendstudie vier Jahrgänge. Doch die ZEIT hat beim Autorenteam um den Jugendforscher Simon Schnetzer um eine Sonderauswertung gebeten. Ergebnis: Bei den 18- bis 29-Jährigen kommt die AfD in seiner Studie auf 22,2 Prozent. Der Abstand zu den Daten von Forsa vergrößert sich sogar. Daran kann es also nicht liegen.«

Also weiter gesucht:

»Auch die Umfragezeiträume sind nicht identisch: Schnetzer und sein Team haben ihre Befragung vom 8. Januar bis zum 12. Februar durchgeführt, Güllners Leute von Januar bis April. Und in den vergangenen Wochen hat die AfD an Zustimmung verloren. Bei der Forschungsgruppe Wahlen beläuft sich der Rückgang in diesem Zeitraum auf etwa zwei Prozentpunkte, bei Allensbach auf drei Prozentpunkte. Aber das erklärt noch nicht, weshalb zwischen den Umfrageergebnissen von Forsa und Schnetzer acht (beziehungsweise 8,2) Prozentpunkte liegen.«

Auch noch nicht befriedigend als Erklärung für die Werte-Differenz. Und da kommen wir zur Methodenfrage:

»Bleibt die Methodik der Befragung. Jede Umfrage muss mit dem Problem umgehen, dass man nicht alle Deutschen zu ihren Wahlabsichten interviewen kann. Deshalb muss von einer Stichprobe auf die Gesamtbevölkerung geschlossen werden. Die Frage ist dann: Wie wird diese Stichprobe ausgewählt? Die meisten Wahlforschungsinstitute setzen auf das Prinzip Zufall. Die Forschungsgruppe Wahlen beispielsweise nutzt dafür Telefonbücher oder erstellt per Zufallsgenerator Mobilfunknummern, die dann abtelefoniert werden.
Durch diese Vorgehensweise soll ausgeschlossen werden, dass die Auswahl der Daten das Ergebnis beeinflusst. Ein Beispiel: Wenn man in einer belebten Fußgängerzone eine Umfrage durchführt, dann würden Menschen nicht berücksichtigt, die Fußgängerzonen nicht betreten. Und womöglich unterscheiden sich die Fußgängerzonengeher in ihrem Wahlverhalten von den Nicht-Fußgängerzonengehern. Aus der Stichprobe lassen sich nur begrenzt Rückschlüsse auf die Allgemeinheit ziehen.
Auch eine Zufallsauswahl sorgt nicht automatisch dafür, dass die Stichprobe die Gesamtbevölkerung genau abbildet. So wie es sein kann, dass man mit einem Würfel sechsmal hintereinander eine Sechs würfelt. Aber die Anwendung des Zufallsprinzips stellt sicher, dass es nicht zu einer systematischen Fehlauswahl kommt. In der Praxis gewichten Wahlforscher zudem normalerweise ihre Umfragedaten. Sie achten also darauf, dass die Teilnehmergruppe in Geschlecht, Alter und Bildung in etwa der Bevölkerung insgesamt entspricht.«

Und wie sieht das aus bei der Jugend-Studie?

»Die Jugendstudie arbeitet mit sogenannten Online-Access-Panels. Das sind Internetportale, bei denen man sich mit seinen persönlichen Angaben registriert und danach gegen eine (geringe) Vergütung an verschiedenen Umfragen teilnimmt. In diesem Fall stammt das Panel von Bilendi, einem kommerziellen Marktforschungsunternehmen, das in Deutschland die Portale meinungsplatz.de und mingle.de betreibt. Die Probanden werden also nicht ausgewählt, sie wählen sich vielmehr selbst aus. Das kann dazu führen, dass sich die Gruppe der Umfrageteilnehmer wie beim Fußgängerzonenbeispiel strukturell von der Gesamtbevölkerung unterscheidet. Im konkreten Beispiel: Möglicherweise wählen Leute, die solche Portale nutzen, eher die AfD als Leute, die es nicht tun. Dann wären die Wähler der Partei in der Stichprobe überrepräsentiert.«

Aber das wissen doch die Autoren der Studie, das sind ja ausgebildete Sozialwissenschaftler. Ja, und sie versuchen, damit umzugehen:

»Deshalb haben Schnetzer und seine Leute ebenfalls dafür gesorgt, dass die Teilnehmergruppe in ihren soziodemografischen Merkmalen der Gesamtbevölkerung entspricht. Wenn beispielsweise schon genug Männer teilgenommen hatten, wurden weitere Männer herausgefiltert. Aber es ist wie immer im Umgang mit Daten: Wenn das ursprüngliche Material Qualitätsmängel aufweist, kann man das hinterher nur begrenzt korrigieren.«

Schlussendlich: Die Bilanz für die Wahlforschung insgesamt

»Das Geschäft mit der Wahlforschung ist generell schwieriger geworden. Immer mehr Menschen lehnen die Teilnahme an Umfragen ab oder sind nicht erreichbar. Deshalb werden Online-Access-Panels beliebter, zumal sie vergleichsweise günstig sind. Unter Sozialforschern gelten sie dennoch als zweite Wahl. Eine Selbstrekrutierung der Befragten sei in der Regel nicht geeignet, „für die Gesamtbevölkerung verallgemeinerungsfähige Untersuchungsergebnisse zu gewährleisten“, heißt es in einem Papier der Verbände der Markt- und Sozialforschung. Das spräche dafür, dass die Jugend vielleicht doch nicht so rechts ist, wie es die Studie nahelegt, und der eine oder andere journalistische take dazu vielleicht etwas voreilig war. Aber das praktische an Wahlumfragen ist ja: Sie sind falsifizierbar. Im nächsten Jahr ist Bundestagswahl.«