Wahlforschung

Das Kreuz mit den Zahlen – Wie kommt die Wahlforschung zu ihren Daten? Neuere methodische Entwicklungen in der Vermessung der Wähler/Nicht-Wähler

(15.05.2024) Ich hatte Sie schon kurz darauf hingewiesen, dass Sie sich hinsichtlich der Methodenfrage einmal mit dem Unternehmen Civey beschäftigen sollten. Als die vor ein paar Jahren auf den Markt der Meinungs- und auch Wahlforschung eingestiegen sind, gab es Stress mit den etablierten Instituten – vor allem mit Forsa, die Ihnen ja auch schon begegnet sind bei meinem Beispiel aus der letzten Veranstaltung, als ich die Kritik des Forsa-Chefs Güllner an der neuen Jugendstudie vorgestellt hatte.

Hier erst einmal ein Artikel aus der ZEIT, der bereits 2020 bei der ersten Kritikwelle an Civey und seinem methodischen Vorgehen erschienen ist:

➔ Robert Pausch und Fritz Zimmermann (2020): Umfrageinstitute: Kampf der Torten, in: DIE ZEIT, Nr. 7/2020: »Zwei renommierte Umfrageinstitute streiten um die Vorherrschaft unter den Meinungsforschern – und um die politische Deutungshoheit.«

Bereits 2018 konnte man auf der Seite marktforschung.de lesen:

Beschwerde beim Presserat wegen Civey-Umfrage (01.10.2028): »Die Institute Forsa, Infas und die Forschungsgruppe Wahlen haben Beschwerde beim Presserat eingereicht. Die Beschwerde richtet sich gegen einen Artikel bei FOCUS ONLINE, der eine Civey-Umfrage als Datenquelle benutzt.«

Und die Auseinandersetzung geht weiter. Dazu ganz aktuell dieser Beitrag:

➔ Nina Anika Klotz (2024): Civey versus Forsa: Dauerstreit unter Wettbewerbern erreicht „neues Level“, in: Business Insider Online, 26.03.2024: »Ein Medium betitelt ihr Startup als „Meinungsmanipulations-Institut“, Gründerin setzt sich öffentlich zur Wehr: Wie der Streit zwischen Civey und dem Wettbewerber Forsa erneut eskaliert.«

Dazu auch dieser Artikel: Rufmord-Kampagne gegen ein strauchelndes Civey? (23.03.2024): »Die Auseinandersetzung zwischen den beiden Berliner Meinungsforschungsinstituten Civey und Forsa geht in die nächste Runde. Das Spielfeld ist diesmal der Newsletter „The Pioneer Briefing“ von Ex-Handelsblatt Chefredakteur Gabor Steingart. Die meisten Vorwürfe darin sind altbekannt. Civey wehrt sich und leitet juristische Schritte wegen unsauberer Berichterstattung ein.«

(14.05.2024) Hier ein Empfehlung für einen kritischen Zugang zur Demoskopie und deren Bedeutung für Wahlen und Wahlentscheidungen – bereits ein Blick in das Inhaltsverzeichnis wird Ihnen zeigen, dass hier wichtige Aspekte Ihrer Themenstellung behandelt werden:

➔ Thomas Wind (2018): Demoskopie, Medien und Politik. Ein Schulterschluss mit Risiken und Nebenwirkungen. OBS-Arbeitspapier 34, Frankfurt am Main: Otto Brenner Stiftung (OBS), 2018

(13.05.2024) Hier eine Publikation speziell zu methodischen Fragen der Umfrageforschung:

➔ Sabine Pokorny und Jochen Roose (2020): Die Eignung von Umfragemethoden. Methodische Einschätzung, Berlin: Konrad-Adenauer-Stiftung, November 2020

Und hier eine ganz neue Veröffentlichung aus diesem Jahr zum Thema Umfrageforschung:

➔ Dominik Hirndorf und Sabine Pokorny (2024): Online, offline oder beides? Umfragemethoden im Praxistest – welche Methode liefert vertrauenswürdige, repräsentative Ergebnisse?, Berlin: Konrad-Adenauer-Stiftung, Januar 2024

Dieses Papier vergleicht mithilfe eines einmaligen Experiments verschiedene Umfragemethoden. Dabei werden zwei reine Online-Stichproben, drei Mixed-Mode-Stichproben und eine reine Telefonstichprobe jeweils verschiedener Institute analysiert. Die Fragestellungen sind identisch. Die Analyse verstärkt die Zweifel an der Qualität von vielen Online-Umfragen. Um bevölkerungsrepräsentative Daten zu erhalten, führt kein Weg an einer Zufallsauswahl der Befragten vorbei.
Einige Ergebnisse im Detail:
➞ Die drei Erhebungsmethoden im Telefon-, Online- und Mixed-Mode-Verfahren unterscheiden sich aufgrund der Stichprobenziehung in ihrer Qualität. Während Telefon-Verfahren auf reine Zufallsstichproben setzen, werden in Online-Erhebungen mit Nicht-Zufallsstichproben nur Personen erreicht, die eine gesteigerte Bereitschaft zur Teilnahme aufweisen.
➞ Die Ergebnisse von Nicht-Zufallsstichproben schwanken ungewöhnlich stark und liefern daher unzuverlässige Ergebnisse.
➞ Gewichtungen sind kein Garant für Repräsentativität. Sie können fehlende Gruppen („Offliner”/ältere Menschen) nicht ausgleichen. Unbekannte Abweichungen werden durch Gewichtungen nicht korrigiert, sondern ggf. verstärkt.
➞ Mixed-Mode-Verfahren können soziodemografische Probleme der Telefon-Methode lösen, bringen jedoch qualitative Mängel durch die nicht-zufallsbasierte Stichprobenziehung im Online-Teil mit sich.

Und wenn wir schon dabei sind, hier der Hinweis auf einen interessanten neueren Aufsatz zu Methodenfragen der Umfrageforschung – Sie können sich den über den Link als PDF-Datei auf der Zeitschriften-Seite herunterladen, wenn Sie im Hochschulnetz sind, also am Campus oder via VPN einloggen:

➔ Bernd Liedl und Nadia Steiber (2024): Führen Online-Befragungen zu anderen Ergebnissen als persönliche Interviews? Eine Schätzung von Moduseffekten am Beispiel eines Mixed-Mode Surveys, in: Österreichische Zeitschrift für Soziologie, Heft 1/2024

(05.05.2025): das ist ja schon deutlich geworden – diese Umfragen spielen eine ganz zentrale Rolle in der Wahlforschung und sie sind für die Parteien und Politiker von erheblicher Bedeutung. Hier eine Sendung, die sich mit dem Instrumentarium und den damit verbundenen methodischen Fragen beschäftigt:

➔ DLF: Umfragen – Lässt sich von einigen Menschen auf alle schließen? (07.03.2024)
Ob Sonntagsfrage oder Studie – die Antworten von wenigen Leuten sollen Auskunft über die Einstellungen von sehr vielen geben. Das theoretische Fundament repräsentativer Umfragen ist schon über 125 Jahren alt. Vielleicht wird es Zeit für ein Update.

Die Umfrageforschung ist auch unter dem Begriff der Demoskopie bekannt. Hier mal ein Text zum Nachgrübeln über mögliche Wirkungen der Demoskopie:

➔ Philip Manow (2023): Wie die Demokratie sich per Demoskopie selbst beobachtet. Working Paper SFB 1472, Nr. 8, Siegen: DFG-Sonderforschungsbereich 1472 „Transformationen des Populären“, September 2023

»Welche veränderte Rolle spielen Umfragen in heutigen Demokratien? Welche Auswirkungen hat die routinehafte und in immer kürzeren Abständen erfolgende Ermittlung von politischen Popularitätswerten auf den politischen Prozess? Werden Umfragen zunehmend zu einem meinungsbildenden statt zu einem Meinungen nur abbildenden Instrument? Sind die in modernen Demokratien immer präsenteren Umfragen demokratietheoretisch problematisch – und wenn ja, in welcher Hinsicht? In diesem Aufsatz wird die These vertreten und empirisch plausibilisiert, dass in Zeiten abnehmender Parteibindung, Fragmentierung des Parteiensystems, stärkerer Präsenz politischer Selbstbeobachtungsinstrumente, die Popularität, positiver wie negativer, immer schnellere und umfassendere Beachtung verleihen, die Rückkopplungsschleifen von Politik und öffentlicher Meinung kürzer werden. Insgesamt vergibt sich dadurch, so die zentrale These, die repräsentative Demokratie zunehmend der Lernmöglichkeiten, die in der zeitlichen Entkoppelung zwischen der Lizensierung politischen Handelns in Wahlen und diesem Handeln selber liegen.«

Und eine sehr kurze, sieben Seiten lange Einführung in das Thema Meinungsforschung mit einem besonderen Blick auf die Methoden finden Sie in diesem Beitrag aus einem Sammelband:

➔ Thomas Petersen (2022): Medienpädagogik und Meinungsforschung, in: Uwe Sander et al. (Hrsg.): Handbuch Medienpädagogik, Wiesbaden 2022, S. 401-407

Und bereits 2017 ist dieser Sammelband erschienen, in dem man sich auseinandergesetzt hat mit der Frage, ob und wie Meinungsforschung „Politik macht“. Sie können das gesamte Buch über SpringerLink im Hochschulnetz kostenlos downloaden:

➔ Thorsten Faas, Dietmar Molthagen und Tobias Mörschel (Hrsg.) (2017): Demokratie und Demoskopie. Machen Zahlen Politik?, Wiesbaden 2017
»Demoskopische Befunde, allen voran „Sonntagsfragen“, sind ein fester Bestandteil der politischen Kommunikation geworden. Welche Folgen, welche Herausforderungen und welche Probleme sind aber mit der Omnipräsenz von Umfragen verbunden? Beiträge aus der politischen Praxis sowie aus verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen beleuchten umfassend das (schwierige) Verhältnis von Demokratie und Demoskopie insbesondere in Bezug auf die vergangene Bundestagswahl.«

(04.05.2024) Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte ist Ihnen bestimmt schon mal begegnet, der taucht oft auf im Fernsehen beispielsweise an den Wahlabenden, wenn dann mehr oder weniger bedeutungsschwanger darüber diskutiert wird, wie die Ergebnisse der einzelnen Parteien einzuordnen ist. Und der hat ein Buch geschrieben, dessen Titel aufhorchen lässt: Wählermärkte. Wahlverhalten und Regierungspolitik in der Berliner Republik. Mit Korte wurde vom Saarländischen Rundfunk (SR) ein längeres Interview geführt zu diesem neuen Buch. Das können Sie sich hier als Podcast reinziehen:

➔ SR: Karl-Rudolf Korte: Wählermärkte (28.01.2024)
»Wie regiert die Berliner Ampel? Was haben Scholz, Habeck, Baerbock und Lindner aus dem Votum der Wähler gemacht? Was geschieht nach Bundestagswahlen mit unserer abgegebenen Stimme? Nach welchen Kriterien entscheiden die Deutschen überhaupt, wen sie wählen? Und wie stellen sich die politischen Akteure darauf ein? Und was hat die Metapher des Wochenmarktes damit zu tun? Korte: “Märkte sind Gespräche, sie sind der Grundstoff für die Beziehungen zwischen Wählern und Politikern. Auch wenn Wähler extremer Parteien, Nicht-Wähler, Protestbewegungen und autoritäre Versuchungen durch manipulative Unwahrheiten auch in Deutschland zunehmen: Die pragmatischen Deutschen sind sicherheitsorientiert. Sie wählen mehrheitlich politisch moderat und mittig, sie sind eingebunden in den Westen und lassen sich eher von aufregungsresistenten Amtsinhabern als von Populisten regieren. ” Auch deswegen plädiert der Politikwissenschaftler dafür, künftigen Wahlen in Deutschland mit Gelassenheit und Zuversicht entgegenzusehen.«

(30.04.2024) Und nun ein erster möglicherweise hilfreicher Hinweis für Ihre Auseinandersetzung mit methodischen Fragen der Wahlforschung. Sie alle kennen sicher die Forschungsgruppe Wahlen – die erstellen immer das Politbarometer für das ZDF und sind auch die Rechenknechte an den Wahlabenden, wenn die Prognose und die Hochrechnungen über die Bildschirme geistern.

Auf deren Seite finden Sie die Rubrik
Rund um die Meinungsforschung
Schauen Sie sich das mal genauer an.

(30.04.2024) Hier der Hinweis auf eine für Ihr Thema sicher relevante Vereinigung:

Deutsche Gesellschaft für Wahlforschung (DGfW)

Dort wird hingewiesen auf die German Longitudinal Election Study (GLES). Die German Longitudinal Election Study (GLES) ist das zentrale Umfrageprogramm in Deutschland für die kontinuierliche Erhebung und Bereitstellung von qualitativ hochwertigen Daten für die nationale und internationale Wahlforschung.

(29.04.2024) Wenn Sie sich im Hochschulnetz befinde, dann können Sie sich über SpringerLink dieses Buch herunterladen, mit dem Sie einen guten Überblick bekommen können zum Thema Wahlforschung:

➔ Jürgen W. Falter und Harald Schoen (Hrsg.) (2014): Handbuch Wahlforschung, Wiesbaden 2014

»Die empirische Wahlforschung zählt zu den theoretisch und methodisch am weitesten entwickelten, von der Öffentlichkeit am stärksten beachteten Zweigen der Politikwissenschaft. Dieser Band vermittelt Grundlagenwissen über die zentralen Konzepte, Methoden und Befunde der empirischen Wahlforschung und gibt einen Überblick über den aktuellen Stand der Forschung. Den Schwerpunkt bilden theoretische Ansätze zur Erklärung von Wahlverhalten. Sie werden ausführlich dargestellt, kritisch diskutiert und systematisch miteinander verglichen. Daneben geht der Band auf ausgewählte Themen der Wahlforschung ein, u.a. auf Nichtwahl, Wechselwahl, die Wahl extremer Parteien sowie den Einfluss von Wertorientierungen und Massenmedien auf das Wahlverhalten. Ferner enthält er Überblicke über die Geschichte demokratischer Wahlen, die Historische Wahlforschung, die Wahlsystemforschung und die Wahlkampfforschung. Dieser Band bietet auf neuestem Stand einen umfassenden Überblick über die empirische Wahlforschung und trägt dazu bei, ihre Möglichkeiten und Grenzen realistisch zu beurteilen.«