Ein Wahljahr. Und viele Fragen an die Wahlforschung. Was macht und weiß diese sozialwissenschaftliche Disziplin?

Ich hatte Ihnen in der Einführungsveranstaltung dargestellt, mit welchem Schwerpunktthema wir uns in diesem Semester in dem Seminar „Angewandte Sozialwissenschaften“ intensiver beschäftigen werden: mit der Wahlforschung. Hier geht es im wahrsten Sinne des Wortes um die Anwendung sozialwissenschaftlichen Wissens und der Methoden, mit der man den Menschen und Institutionen in einer Gesellschaft zu Leibe rücken versucht. Ein anspruchsvolles Anliegen, zugleich aber sollte man auch nicht aus den Augen verlieren, dass „die“ Wahlforschung auch instrumentalisiert wird oder werden kann, zum einen von den Auftraggebern der zahlreichen Meinungsumfragen, zum anderen aber auch aus sich selbst heraus, denn es können durchaus Trends gesetzt und verstärkt, Eindrücke erzeugt und tatsächliches Wahlverhalten beeinflusst werden.

Und warum dieses Thema im Sommersemester 2024?

Wir stehen am Beginn eines bedeutsamen Wahljahres. Ich hatte Ihnen dazu eine Abbildung mit den anstehenden Wahlterminen in diesem Jahr gezeigt.

Ein ganz wichtiges Datum ist der 9. Juni 2024, denn an diesem Tag finden die Wahlen zum Europäischen Parlament statt. Parallel dazu werden nicht in allen, aber in acht Bundesländern (sowie kurz vorher am 26. Mai 2024 schon in Thüringen) Kommunalwahlen stattfinden. Auch in unserem Bundesland Rheinland-Pfalz.

Dann ist nur ein paar Wochen Pause und am 1. September 2024 werden in Sachsen und Thüringen und am 22. September 2024 dann in Brandenburg die Landtage dieser Bundesländer gewählt. Drei ostdeutsche Landtagswahlen – die nicht nur, aber auch deshalb besonders aufmerksam beobachtet werden, weil dort die höchst umstrittene AfD besonders stark aufgestellt ist, möglicherweise wird sie in einem der Bundesländer sogar stärkste Partei.

Zurück zu den noch in diesem Sommersemester stattfindenden EU-Wahlen. Ich hatte Sie dazu in der ersten Veranstaltung mit einem FAZ-Artikel von Gregor Grosse konfrontiert: „Studie prognostiziert ‚heftigen Rechtsruck‘ bei EU- Wahlen“, so ist der überschrieben.

Der Beitrag bezieht sich auf diese Studie, die Sie hier im Original abrufen können:

➔ Kevin Cunningham et al. (2024): A sharp right turn: A forecast for the 2024 European Parliament elections, Berlin: European Council on Foreign Relations (ECFR), January 2024

»The 2024 European Parliament elections will see a major shift to the right in many countries, with populist radical right parties gaining votes and seats across the EU, and centre-left and green parties losing votes and seats. Anti-European populists are likely to top the polls in nine member states (Austria, Belgium, the Czech Republic, France, Hungary, Italy, the Netherlands, Poland, and Slovakia) and come second or third in a further nine countries (Bulgaria, Estonia, Finland, Germany, Latvia, Portugal, Romania, Spain, and Sweden). According to our forecast, almost half the seats will be held by MEPs outside the “super grand coalition” of the three centrist groups. Inside the European Parliament, a populist right coalition of Christian democrats, conservatives, and radical right MEPs could emerge with a majority for the first time. This ‘sharp right turn’ is likely to have significant consequences for European-level policies, which will affect the foreign policy choices that the EU can make, particularly on environmental issues, where the new majority is likely to oppose ambitious EU action to tackle climate change.«

Eine „Kurzfassung“ der Studie finden Sie hier:

➔ Kevin Cunningham et al. (2024): A sharp right turn: European Parliament election forecast, in: Social Europe Online, 30.01.2024

Wie sieht die Stimmung derzeit in Deutschland aus? Die folgende Abbildung zeigt Ihnen die aktuellsten Wahlumfragen (Stand: 16.04.2024) zu den anstehenden Europawahlen, im Vergleich dazu die Umfrageergebnisse zu den Bundestagswahlen:

Wir werden uns im weiteren Verlauf des Seminars mit einigen ausgewählten Aspekten der Wahlforschung vertiefend auseinandersetzen, sowohl durch meinen Input in den Veranstaltung wie auch durch die Aufarbeitung von Einzelthemen durch Arbeitsgruppen aus Ihren Reihen.