Verständlicherweise schauen jetzt alle auf das, was mit der neuen Bundesregierung unter Friedrich Merz (CDU) auf uns zukommen wird. Und auch wir werden im Seminar weiter prüfen, was es an sozialpolitischen Inhalten geben wird.
Wenn auch nicht wenige erleichtert sein werden, dass das Gewürge mit der Ampel-Koalition, die 2021 als „Fortschrittskoalition“ so vielversprechend begann, vorbei ist – es lohnt doch vor dem Hintergrund, dass wir uns mit den für die Gesundheits- und Sozialwirtschaft relevanten Themen im neuen Koalitonsvertrag beschäftigen, ein Blick zurück, denn auch in dem Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP aus dem Jahr 2021 gab es zahlreiche und teilweise sehr ambitionierte Vorhaben.
Den damaligen Koalitionsvertrag können Sie hier im Original abrufen:
➔ SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP (2021): Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit, Berlin, 07.12.2021
In diesem Zusammenhang interessant ist dann so eine Überschrift: Schlussbilanz zum Koalitionsvertrag der Ampel 2021–25. Der dazu gehörende Artikel kommt von der Bertelsmann Stiftung. Und noch interessanter wird es, wenn man dann weiterliest: »Anstatt mehr Koalition zu wagen, hat die Ampel sich in ihrer zweiten Halbzeit für noch mehr Streit und den Bruch entschieden. Das prägt auch ihre Schlussbilanz: Nur etwas mehr als die Hälfte (52 Prozent) ihrer Regierungsvorhaben wurden umgesetzt. Dennoch war die Ampel mehr als eine gescheiterte Streitkoalition. In ihren drei Regierungsjahren hat sie absolut gesehen mehr Vorhaben umgesetzt als ihre beiden Vorgängerregierungen in jeweils vier Jahren. Die Gesamtnote lautet deshalb: Erfolgreich gescheitert.«
Die haben offensichtlich nachgezählt. Was also aus den Vereinbarungen im damaligen Koalitionsvertrag (nicht) geworden ist.
»Mit insgesamt 453 Versprechen enthält der Koalitionsvertrag 2021 etwa 50 Prozent mehr konkrete Vorhaben als der Koalitionsvertrag von 2018 und fast zweieinhalb Mal so viele wie der Koalitionsvertrag 2013. Davon hat die Ampel in ihren drei Regierungsjahren mit 236 Vorhaben allerdings nur etwas mehr als die Hälfte (52 Prozent) umgesetzt – 45 Prozent wurden vollständig, 7 Prozent teilweise umgesetzt. 98 Vorhaben (22 Prozent) befanden sich beim Bruch der Ampel noch im Prozess der Umsetzung. Bei weiteren 118 Vorhaben (26 Prozent) wurde mit der Umsetzung nicht einmal begonnen.«

»An ihren selbst gesetzt hohen Maßstäben ist die Ampel also gescheitert. Nachdem die beiden Vorgängerregierungen anteilig jeweils fast 80 Prozent ihrer Versprechen umgesetzt haben, fällt die Ampelbilanz mit lediglich gut der Hälfte umgesetzter Versprechen sehr viel schlechter aus. Dennoch hat sie in absoluten Zahlen sogar etwas mehr Vorhaben (+7) als ihre Vorgängerregierung und deutlich mehr (+88) als ihre Vor-Vorgängerregierung umgesetzt. Die schlechten Vertrauenswerte konnte das nicht verbessern. Der ständige Streit hat die Erfolge der Ampel aus Sicht der Wähler:innen überschattet.«
Die vollständige Analyse finden Sie hier:
➔ Robert Vehrkamp und Theres Matthieß (2025): Erfolgreich gescheitert. Schlussbilanz zum Koalitionsvertrag der Ampel 2021–25, Gütersloh: Bertelsmann Stiftung, 2025
Und aus dem Rückblick lernen für einen Blick in die neue Koalitionswelt?
Einer der beiden Autoren, Robert Vehrkamp, hat sich in einem aktuellen Beitrag mit dieser Frage beschäftigt: Mehr Koalition wagen: Was Schwarz-Rot von der Ampel lernen kann: »Was entscheidet über den Erfolg der neuen Koalition? Die Inhalte des Koalitionsvertrages, lautet das Mantra der Verhandler. Wirklich? Viel wichtiger ist ihr Selbstverständnis und ihre Arbeitsweise. Daran ist die Ampel gescheitert. Schwarz-Rot sollte daraus lernen – fünf Vorschläge, wie das gehen könnte.«
Er bilanziert rückblickend: »Man kann eben auch erfolgreich scheitern. Dafür ist die Ampel ein mahnendes Beispiel. Dass es dazu kam, lag vor allem an dem „Zu oft“ koalitionsinterner Streitigkeiten, am Kleinreden ihrer eigenen Erfolge, an wechselseitiger Missgunst und dem fehlenden Mut, sich als Koalition gemeinsam zu profilieren. Eine inhaltlich zwingende Begründung ihres Endes fällt jedenfalls bis heute schwer. Der Koalitionsbruch war mehr gewollt und konstruiert als notwendig oder gar zwangsläufig. Die FDP hat genau dafür und zurecht mit ihrer parlamentarischen Existenz bezahlt.«
Aber warum ist das für die neue Koalition relevant?
»Aus all dem sollte Schwarz-Rot lernen, es von vornherein besser angehen und besser machen – auch deshalb, weil Schwarz-Rot als polarisierte Drei-Parteien-Koalition aus CDU, CSU und SPD der Ampel sehr viel ähnlicher sein wird als den großen Koalitionen vergangener Zeiten. Das liegt an der neuen Wettbewerbslogik und Wettbewerbsdynamik unseres sehr viel stärker segmentierten und polarisierten Parteiensystems. Die Selbstbeschädigung der politischen Mitte bei der Bundestagswahl 2025 ist dafür das Menetekel.« Die Herausforderungen sind enorm: »Der Union sitzt die in Umfragen inzwischen fast gleichstarke Konkurrenz der in Teilen rechtsextremistischen AfD im Nacken; und eine auch von der Union ins Abseits beförderte FDP liegt außerparlamentarisch auf der Lauer. An der Rest-SPD nagt die progressive Konkurrenz der Grünen und der Linkspartei. Der Versuchung zu widerstehen, diesen Zieh- und Fliehkräften in eine Bi-Polarisierung des Parteiensystems in zwei Lager nachzugeben – das ist die eigentliche Herausforderung der nächsten vier Jahre. Und es ist eine Herkulesaufgabe.«
Vehrkamp macht dann fünf mehr oder weniger konkrete Vorschläge, was die neue schwarz-rote Koalition lernen könnte und machen sollte. Das kann man in seinem Beitrag nachlesen.