Kommt die Wehrpflicht wieder zurück?
Eine sozialwissenschaftliche Analyse der Diskussion über eine Rückkehr zur Wehrpflicht, einer „neuen Wehrpflicht“, ein verpflichtendes Dienstjahr für alle, ein „Freiheitsjahr“ für alle (mit Ausnahmen) usw. und ihrer Bedeutung für die Gesundheits- und Sozialwirtschaft
(21.06.2025) Nun sind wir bereits auf der Zielgeraden und Sie haben Ihre Thema bearbeitet. Die Ergebnisse werden Sie uns in der kommenden Woche präsentieren. Darüber hinausreichend – und Sie erinnern sich: wir beschäftigen uns in diesem Master-Seminar ja auch mit wissenschaftlichen Arbeiten, also beispielsweise komplizierteren Studien – möchte ich Ihnen zu Ihrem Thema eine ganz neue Studie vorstellen, die mit komplexen statistischen Methoden arbeitet zu einem Spezialthema, das mit der früheren Wehrpflicht verbunden ist (oder sein könnte):
➔ Anna L.M. Daelen (2025): Did You Serve? New Evidence on the Causal Effect of Conscription on Wage in Germany. BiB.Working Paper No. 1/2025, Wiesbaden: Federal Institute for Population Research (BiB), May 2025
Aus der Zusammenfassung (in deutscher Übersetzung): »Anhand administrativer Daten der Deutschen Rentenversicherung identifiziere ich den kausalen Effekt der Wehrpflicht auf Löhne für Männer mit Abitur zu Beginn ihrer Karriere. Mein quasi-experimentelles Design nutzt eine Diskontinuität in der Wahrscheinlichkeit, gedient zu haben, die durch den Einschulungsstichtag in Verbindung mit der Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 verursacht wird. Der Vergleich von Männern, die in einem engen Zeitfenster um den Stichtag geboren wurden, ergibt, dass sich die Wehrpflicht positiv auf das Einkommen von Männern mit hoher Schulbildung auswirkt. Falsifikationstests mit Männern und Frauen unterschiedlicher Geburtsjahre zeigen, dass dieser Effekt nur bei jenen Männern mit Abitur auftritt, bei denen der Stichtag zu einer Diskontinuität in der Dienstwahrscheinlichkeit führt. Ich teste mehrere Mechanismen: Wehrdienstvermeidungsverhalten und die Selektion in breite Berufssektoren erklären mein Ergebnis nicht. Vielmehr führt die Wehrpflicht dazu, dass Männer häufiger in Berufen arbeiten, die Teamarbeit erfordern. Gestützt durch Umfragebefunde aus der Literatur legen meine Ergebnisse nahe, dass Männer unter der Wehrpflicht soziale Fähigkeiten erwerben.«
(17.06.2025) Ich hatte heute in der Gruppenbesprechung kurz darauf hingewiesen, dass vor dem Hintergrund, dass es immer noch keinen vom Bundestag verabschiedeten Bundeshaushalt 2025 gibt und wir mit einer vorläufigen Haushaltsführung leben müssen, vor kurzem eine „überplanmäßige
Verpflichtungsermächtigung“ für die Freiwilligendienste, konkret in Höhe von insgesamt 49,95 Mio. Euro, gegeben hat, da ansonsten neue Stellen nicht hätten finanziert werden können. Hier die Quelle, eine Unterrichtung der Bundesregierung, dort finden Sie auch eine kurze Begründung der Maßnahme:
➔ Vorläufige Haushaltsführung 2025. Mitteilung über die Erteilung einer überplanmäßigen
Verpflichtungsermächtigung bei Kapitel 1703 Titel 684 11 – Freiwilligendienste – bis zur Höhe von insgesamt 49,95 Mio. Euro, BT-Drs. 21/104 vom 21.05.2025.
Die Freiwilligendienste haben gerade für die Gesundheits- und Sozialwirtschaft eine besondere Bedeutung. Rund 90.000 Menschen leisten Jahr für Jahr einen Freiwilligendienst. Weitere Informationen finden Sie beispielsweise auf dieser Seite des Bundesfamilienministeriums:
➔ Freiwilligendienste
sowie auf dieser Seite des Bundesamtes für Familien und zivilgesellschaftliches Engagement:
➔ Bundesfreiwilligendienst.
Interessant für einen konkreten Einblick, was da denn für Stellen besetzt werden können, ist vielleicht auch diese Seite: https://freiwillig-ja.de/stellensuche. Dort sehen Sie zum einen die Tätigkeitsbereiche (überwiegend GuS-relevant) und zum anderen die drei großen Bereiche FSJ, FÖJ und BFD, für die man Einsatzstellen suchen kann.
(16.06.2025) Ihr Thema hat derzeit Konjunktur in der Medienberichterstattung. Hier nur eine kleine Auswahl:
➔ Im „Tagesspiegel“ aus Berlin: „Das geht nicht von heute auf morgen“: Union will Bundeswehr für Wehrpflicht vorbereiten (14.06.2025): »Führende Unionspolitiker wie Jens Spahn wollen die Wiedereinführung der Wehrpflicht vorbereiten. Die SPD ist in der Frage gespalten. Verteidigungsminister Pistorius schlägt einen Kompromiss vor.« Und „Tagesschau Online“ berichtet am gleichen Tag: Union will Rückkehr zur Wehrpflicht vorbereiten (14.06.2025): »“Das geht nicht von heute auf morgen“ – Unionsfraktionschef Spahn fordert, mit Vorbereitungen zur Wiedereinführung der Wehrpflicht zu beginnen. Parteikollegen unterstützen ihn. Die SPD ist deutlich zurückhaltender.« Diese Debatte wird selbst im benachbarten Ausland wahrgenommen, z.B. in Österreich. Hier ein Artikel aus der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“: Rückkehr zur Wehrpflicht in Deutschland? Union für Vorbereitungen (15.06.2025): »Laut Nato benötigt Deutschland 50.000 bis 60.000 aktive Soldaten mehr. Es braucht laut Fraktionschef Spahn eine Struktur, die die Rückkehr zur Wehrpflicht ermöglicht.« Interessant vielleicht auch dieses Interview auf der katholischen Medienseite „domradio.de“ – da tauchen auch die Kirchen und die Wohlfahrtsverbände auf: „Wie lange setzt man auf Freiwilligkeit?“ (16.06.2025): »Zum ersten Nationalen Veteranentag in Berlin kamen Tausende. Im politischen Berlin nimmt die Diskussion um eine mögliche Rückkehr zur Wehrpflicht Fahrt auf. Union und SPD sind uneins, Kirchen und Verbände reagieren unterschiedlich.« Und auch so etwas gehört dazu – ein sehr kritischer Kommentar aus der Tageszeitung „taz“ von Pauline Jäckels: Frauen als verfügbare Menschenmasse (12.06.2025): »Wenn der Staat wahlweise für mehr kämpfende, arbeitende oder gebärende Frauen wirbt, geht es sicher nicht um Feminismus – sondern einfach um Bedarf.« Man muss das nicht teilen, aber darin wird zumindest der Blick insofern geweitet, als das auch aus anderen Bereichen Bedarfe angemeldet werden.
Apropos Frauen – schauen wir in unser nördliches Nachbarland, nach Dänemark. Von dort erreichen uns solche Meldungen: Dänisches Parlament beschließt Wehrpflicht für Frauen (11.06.2025): »Das dänische Parlament hat der Wehrpflicht für Frauen zugestimmt. Es gab keine Gegenstimme. Bisher war der Wehrdienst in Dänemark nur für Männer verpflichtend, für Frauen dagegen freiwillig. Die Regierung hatte den Gesetzentwurf vorgezogen und das mit einer veränderten Sicherheitslage angesichts des Ukraine-Kriegs begründet. Däninnen, die nach dem 1. Juli dieses Jahres 18 Jahre alt werden, können nach dem neuen Gesetz im Laufe des Jahres 2026 eingezogen werden. Betroffen sind aber nur Teile eines Jahrgangs. Es wird wie schon bei den Männern ein Losverfahren geben, falls sich nicht genug Freiwillige melden. Ab August 2026 wird der Wehrdienst zudem von vier auf elf Monate verlängert. Das war schon im vergangenen Jahr beschlossen worden. In Norwegen und Schweden gibt es bereits eine Wehrpflicht für beide Geschlechter.«
(10.06.2025): Sie haben sicherlich schon das Thema vorbereitet für eine Präsentation. Aber wir haben es mit einem beweglichen Ziel zu tun, die Diskussion über Wehrpflicht/Dienstpflicht läuft weiter und gerade in diesen Tagen gibt es eine gewisse Zuspitzung, die Sie aufarbeiten und einbauen müssen in ihre Präsentation und das Ergebnissicherungspapier. Was meine ich?
| ➔ Zum einen hat sich der alte und neue Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) zu Wort gemeldet hinsichtlich des konkreten Personalbedarfs der Bundeswehr. Darüber hinaus hat sich der neue Wehrbeauftragte, Henning Otte (CDU), zu Ihrem Thema explizit positioniert. Das alles ist nicht unbeantwortet geblieben, konkret hat der SPD-Fraktionschef Matthias Miersch im Bundestag ebenfalls sehr konkret Stellung bezogen. Das alles gehört aufbereitet. Und dann hat sich noch ein Politiker diese Tage zu Wort gemeldet, der mal eine ganz große Nummer gewesen ist: Der ehemalige Bundesaußenminister und Vizekanzler in der damaligen rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder, also Joschka Fischer (Grüne). Was hat der zu der Debatte beizutragen? Fragen über Fragen, die Antworten liegen im Netz und einer ordentlichen Recherche 😉 |
(03.06.2025) Und hier noch eine ganz neue Veröffentlichung von den Wissenschaftlichen Diensten des Deutschen Bundestages:
➔ Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestages (2025): Wehrpflicht und andere Pflichtdienste in ausgewählten europäischen Staaten, Berlin, Mai 2025
»Vor dem Hintergrund der Sicherheitslage in Europa sowie der Personallage der Bundeswehr wird in Deutschland seit geraumer Zeit die Rückkehr zur 2011 ausgesetzten Wehrpflicht diskutiert. Einige politische Kräfte fordern sogar die Einführung einer Allgemeinen Dienstpflicht, um nicht nur dem Personalmangel in der Bundeswehr, sondern auch in der Gesundheitsversorgung und im Pflegedienst zu begegnen sowie darüber hinaus im Kriegsfall, in wirtschaftlichen Ausnahmesituationen, im Fall von außergewöhnlichen Naturkatastrophen oder im Fall von Epidemien bzw. Pandemien das für die Aufrechterhaltung gesellschaftlich relevanter Funktionen erforderliche Personal verfügbar zu haben. Der folgende Sachstand schaut über die deutschen Grenzen hinaus und untersucht die Frage, ob und, wenn ja, in welcher Form in anderen europäischen Ländern Pflichtdienste (Wehrpflicht und andere Pflichtdienste) existieren. Die Betrachtung der im europäischen Ausland aktuell gültigen Regelungen zu Pflichtdiensten ist hierbei auf die Länder Belgien, Dänemark, Estland, Finnland, Lettland, Litauen, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen und Schweden begrenzt.«
(03.06.2025) Schauen Sie sich bitte die folgende Abbildung an:

Die habe ich aus einer Excel-Datei erstellt, die Sie im Materialordner auf der Olat-Seite zu unserem Seminar finden und dort herunterladen können. Was könnte das Material mit ihrem Thema zu tun haben?
(03.06.2025) Hier eine weitere Materiallieferung zu Ihrem Thema:
Der Bundesrechnungshof (BRH) hat sich zum Thema Bundeswehr zu Wort gemeldet. Zuerst die Pressemitteilung des BRH:
➔ Bundesrechnungshof (2025): Bundeswehr – Kurskorrektur bei Organisation und Personal, 27.05.2025: »m die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands zu stärken, muss sich die Bundeswehr auch organisatorisch und personell für die Landes- und Bündnisverteidigung stärken. Die enormen finanziellen Mittel müssen verantwortungsvoll eingesetzt werden. Der Bundesrechnungshof zeigt in seinem Sonderbericht auf, worauf es jetzt ankommt.«
Und hier der Sonderbericht des BRH im Original:
➔ Bundesrechnungshof (2025): Handlungsbedarf bei der Bundeswehr. Wiederausrichtung auf Landes- und Bündnisverteidigung erfordert verantwortungsvolle Mittelverwendung und Kurskorrektur bei Organisation und Personal, Bonn, 27.05.2025
(20.05.2025) Und zur weiteren Fundierung der These, auf was für einem gesellschaftspolitisch brisanten Feld wir uns bewegen:
➔ Patrick Mayer (2025): Wehrpflicht in Deutschland: CDU-Mann benennt Hürde bei Frauen, in: Frankfurter Rundschau Online, 20.05.2025: »Roderich Kiesewetter spricht sich … für eine sofortige Wehrpflicht in Deutschland aus. Grund ist die wachsende Bedrohung durch Putins Regime.«
Ergänzend dazu:
➔ Patrick Mayer (2025): Friedrich Merz plant gigantische Bundeswehr – mit Wehrdienst oder Wehrpflicht?, in: Frankfurter Rundschau Online, 20.05.2025: »Bundeswehr-Ausbau unter Friedrich Merz: Schwarz-Rot plant eine gigantische Armee. Hunderttausende Deutsche könnten künftig eine Militär-Uniform tragen.«
Und bereits im April wurde dieser Artikel veröffentlicht, der gut zu Ihrem Thema passt (wenn Sie den nicht schon längst bei Ihrer eigenen Recherche gefunden haben):
➔ Nils Thomas Hinsberger (2025): Rückkehr der Wehrpflicht? Union und SPD uneins über mögliches Modell, in: Frankfurter Rundschau Online, 22.04.2025
(19.05.2025) Hier kommt nun eine weitere Materiallieferung für die Arbeitsgruppe.
Sie haben es sicher schon im Blog zu unserem Seminar gesehen – die beiden Arbeitsgruppen, die sich mit den GuS-relevanten Themen im Koalitionsvertrag beschäftigen, haben den Auftrag bekommen, die Regierungserklärung des neuen Bundeskanzlers sowie die der einschlägigen Ministerinnen zu begutachten, welche Themen aus dem, was im Koalitionsvertrag vereinbart bzw. in Aussicht gestellt wurde, in die Regierungserklärungen aufgenommen wurden und wenn, wie sie dort platziert wurden. Nun gilt das auch für Ihre Arbeitsgruppe mit dem vergleichsweise speziellen Thema. Die Diskussion über eine Dienstpflicht ist unauflösbar verknüpft mit der Wehrpflicht-Debatte. Und afür zuständig ist der neue (alte) Bundesverteidigungsminister. Deshalb auch hier der Link zu seiner Regierungserklärung und dem Prüfauftrag, ob es Ihr Thema in seine Rede vor dem Bundestag überhaupt geschafft oder ob es irgendwelche Andeutungen gegeben hat:
➔ Minister Pistorius: Verteidigungsausgaben müssen deutlich steigen (14.05.2025): »Rund fünf Stunden nach der Ankündigung von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), die Bundeswehr zur „konventionell stärksten Armee in Europa“ machen zu wollen, hat Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) in der Debatte am Mittwoch, 14. Mai 2025, über die Verteidigungspolitik der neuen Bundesregierung erste konkrete Maßnahmen benannt.«
Aber das ist noch nicht alles. Ich habe für Ihre Arbeitsgruppe etwas vorbereitet:

Sie können die Artikel-Sammlung hier herunterladen:
Bitte lesen Sie die Beiträge und diskutieren Sie in der Arbeitsgruppe, ob und wie man die einbauen kann in Ihre Gruppenarbeitsergebnisse.
(28.04.2025) Sicher haben Sie schon viel recherchiert, aber hier eine weitere Materiallieferung von meiner Seite.
Beginnen wir mit einem häufig vergessenen Aspekt der Diskussion über eine (Wieder)Einführung der Wehrpflicht in welcher Form auch immer: Wohin mit neuen Soldaten?, fragt sich (nicht nur) Oliver Bemelmann in seinem Artikel: »Die Truppenstärke der Bundeswehr soll erhöht werden – auch über die Wehrpflicht wird diskutiert. Doch wohin mit den Soldaten? Viele Kasernen wurden geschlossen oder sind marode.« Aber was heißt schon neue Soldaten? Die bisherige Entwicklung sieht anders aus: »Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine macht sich die Regierung für eine Stärkung der Bundeswehr stark. Die Truppe soll bis 2031 auf 203.000 Soldaten anwachsen. Doch die Realität ist eine andere«, kann man diesem Artikel entnehmen: Zahl der Bundeswehrsoldaten sinkt auf 181.500.
Kommen wir zu einem ökonomischen Blick auf die Frage nach einer allgemeinen Dienstpflicht. Ein Beispiel für diese Perspektive finden Sie in der folgenden Veröffentlichung aus dem ifo Institut für Wirtschaftsforschung in München, die im vergangenen Jahr publiziert wurde:
Joop Adema et al. (2024): Volkswirtschaftliche Kosten einer Wiedereinführung der Wehrpflicht oder eines sozialen Pflichtjahres. ifo Forschungsberichte Nr. 144, München: ifo Institut für Wirtschaftsforschung, 2024
Aus der Pressemitteilung des ifo zu der Studie: »Die Wiedereinführung der Wehrpflicht in Deutschland könnte gesamtwirtschaftliche Kosten in Milliardenhöhe verursachen. Zu dem Ergebnis kommt eine Studie des ifo Instituts für das Bundesministerium der Finanzen. Die Studie untersucht die Kosten der Wehrpflicht in drei Szenarien. Betrifft die Wehrpflicht einen gesamten Jahrgang (100 Prozent), wäre mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung (Bruttonationaleinkommen) um 1,6 Prozent oder knapp 70 Milliarden Euro zu rechnen. Falls ähnlich wie bei der alten Wehrpflicht knapp ein Viertel eines Jahrganges eingezogen würde, könnte die Wirtschaftsleistung um 0,4 Prozent oder 17 Milliarden Euro zurückgehen. Werden nur 5 Prozent eines Jahrganges eingezogen (ähnlich wie in Schweden), beträgt der Rückgang 0,1 Prozent oder 3 Milliarden Euro. „Eine Wehrpflicht im Rahmen eines sozialen Pflichtjahres würde jährlich wirtschaftliche Kosten verursachen, die in etwa so groß sind, wie die Mittel aus dem Verteidigungshaushalt und dem Sondervermögen Bundeswehr im Jahr 2024 zusammen “, sagt ifo-Militärexperte Marcel Schlepper.
Die Kosten entstehen vor allem, weil junge Menschen erst später beginnen, Humankapital und Vermögen aufzubauen. „Als Alternative zur Wehrpflicht wäre es sinnvoller, die Bundeswehr mit mehr Mitteln auszustatten, um sie als Arbeitgeber attraktiver zu machen. Denkbar wäre, den Wehrdienstleistenden höhere Gehälter zu bezahlen“, sagt ifo-Forscher Panu Poutvaara, Leiter des ifo Zentrums für Internationalen Institutionenvergleich und Migrationsforschung. Dies würde zwar den Staatshaushalt stärker belasten, die gesamtwirtschaftlichen Kosten fielen aber um fast die Hälfte geringer aus als bei der Wehrpflicht: 37 statt 70 Milliarden Euro (im 100-Prozent-Szenario), 9 statt 17 Milliarden Euro (im 25-Prozent-Szenario) und 2 statt 3 Milliarden Euro (im 5-Prozent-Szenario). Die militärischen Fähigkeiten der Bundeswehr würden bei der Marktlösung in jedem Szenario im gleichen Maße wie bei der Wehrpflicht wachsen.
Die Kosten einer Wehrpflicht wären zudem nicht gleichmäßig in der Gesellschaft verteilt, sondern fielen primär bei den Wehrpflichtigen selbst an. Der Wehrdienst zwingt die Wehrpflichtigen, ihre Bildungs- und Berufsplanung anzupassen. In der Studie können negative wirtschaftliche Folgen bei Einkommen und Konsum bis zum Lebensende festgestellt werden. „Wenn nur ein kleiner Anteil eines Jahrgangs verpflichtet werde, wirft das angesichts der ungleichen Verteilung der Lasten erhebliche Zweifel an der Wehrgerechtigkeit auf“, sagt Poutvaara. Bei einer Marktlösung mit höheren Gehältern müssen dagegen alle gleichermaßen die höheren Staatsausgaben finanzieren. „Bei einer Wehrpflicht entstehen für die Nicht-Wehrpflichtigen kaum Kosten. Das mag erklären, warum eine Wehrpflicht insbesondere bei jenen Altersgruppen so beliebt ist, die nicht selbst betroffen wären“, sagt ifo-Militärexperte Schlepper.«
Und wenn wir schon bei der ökonomischen Perspektive sind, hier der Hinweis auf eine Veröffentlichung, die in der Fachzeitschrift „Wirtschaftsdienst“ erschienen ist – übrigens kompakt auf einer Seite, das müsste Ihnen gefallen 😉
➔ Hanno Beck und Aloys Prinz (2022): Wehr- und Dienstpflicht – Auf ökonomisch tönernen Füßen, in: Wirtschaftsdienst, Heft 4/2022
Rücken wir näher an die Gegenwart und an die aktuellen Debatten heran. Hier eine Veröffentlichung aus der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung:
➔ Natalie Klauser (2023): ChancenZeit. Diskussionen um die Zukunft des Dienstes an der Gesellschaft, Berlin: Konrad-Adenauer-Stiftung, August 2023
»Die Einführung eines Gesellschaftsjahres wird von Politik und Gesellschaft schon seit einigen Jahren diskutiert. Die Idee ist, dass junge Erwachsene nach Beendigung ihrer Schulzeit verpflichtet werden, sich ein Jahr lang in einem Bereich ihrer freien Wahl, z.B. in einer sozialen, kulturellen, ökologischen oder karitativen Einrichtung oder aber bei der Bundeswehr, für die Gesellschaft zu engagieren. Was denken junge Menschen selbst über den Dienst an der Gesellschaft und wie sollte dieser zukünftig ausgestaltet sein?«
Apropos CDU: Im Jahr 2022 hat sich Carsten Linnemann, heute der Generalsekretär der CDU, zu dem Thema zu Wort gemeldet, mit einer deutlichen Positionierung für eine Dienstpflicht.
➔ Carsten Linnemann (2022): Deutschland im Krisenmodus – Plädoyer für ein allgemeines Gesellschaftsjahr, in: Die Politische Meinung, Nr. 574, Mai/Juni 2022
Diese Lieferung abschließend beamen wir uns wieder in die Gegenwart – Sie sollen das Thema „Dienstpflicht“ (wie auch immer das semantisch bemäntelt wird) mit einem besonderen Blick auf die Gesundheits- und Sozialwirtschaft untersuchen. Dazu passt vielleicht dieser aktuelle Bericht:
➔ Jörg Poppendieck (2025): Freiheitsdienst und Co: „Pflicht“ im politischen Trend, in: BR Online, 03.04.2025: »Sozialer Pflichtdienst oder verpflichtender Freiheitsdienst. Es gibt gerade viele Vorschläge für Dienste an der Gemeinschaft. So wünschenswert sie sein mögen – Hilfswerke haben auch Einwände.«
(15.04.2025) Man muss sich in der ganzen heterogenen Debatte über das Ihnen gestellte Thema rückblickend informieren und Material sichten, denn darüber wird schon seit vielen Jahren diskutiert. Ein wichtiger Einschnitt war sicher das Jahr 2011, denn da wurde die Wehrpflicht zwar nicht abgeschafft, aber ausgesetzt. Und mit ihr auch der Zivildienst als Alternative für diejenigen, die den Dienst an bzw. mit der Waffe verweigert haben. Dazu habe ich Ihnen eine kurze Übersicht erstellt, die Sie hier herunterladen können:
➔ Wehrpflicht und Zivildienst und die Entwicklung seit der Aussetzung der Wehrpflicht (2011)
Eine hilfreiche Quelle zur Aufarbeitung des Themas sind die Ausarbeitungen der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages. Wenn Sie auf deren Dokumentenseite gehen (https://www.bundestag.de/publikationen ➔ dann: Wissenschaftliche Dienste), dann können Sie auf der Seite „Publikationen der Wissenschaftlichen Dienste“ gleich oben in das Suchfeld Suchbegriffe wie z.B. Dienstpflicht oder Wehrpflicht eingeben. Wenn Sie das mit dem Begriff Dienstpflicht machen, dann werden Sie auf solche Ausarbeitungen stoßen (hier von mir sortiert von alt nach neu; WD Bundestag steht für Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages):
➞ WD Bundestag 2004: Argumente für die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht
➞ WD Bundestag 2007: Fragen zur Einführung eines allgemeinen gesellschaftlichen und sozialen Pflichtdienstes. Rechtliche Grenzen und internationale Beispiele
➞ WD Bundestag 2016: Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht. Initiativen und Standpunkte in den letzten 15 Jahren
➞ WD Bundestag 2016: Möglichkeit der Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht für Frauen und Männer nach deutschem Verfassungsrecht
➞ WD Bundestag 2016: Vereinbarkeit einer allgemeinen Dienstpflicht mit Art. 4 EMRK
➞ WD Bundestag 2018: Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht
➞ WD Bundestag 2019: Allgemeine Dienstpflicht
➞ WD Bundestag 2019: Einzelfragen zur rechtlichen Möglichkeit der Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht
➞ WD Bundestag 2022: Allgemeine Dienstpflicht
➞ WD Bundestag 2022: Einzelfragen zur rechtlichen Möglichkeit der Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht
➞ WD Bundestag 2022: Zur Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht unter soziologischen Aspekten
➞ WD Bundestag 2023: Allgemeine Dienstpflicht. Aktualisierung der Dokumentation WD 3 – 3000 – 043/22
Aus dem vergangenen Jahr sehr interessant ist diese Ausarbeitung vor dem Hintergrund der Diskussion über eine teilweise Wieder-Aktivierung der Wehrpflicht (Stichwort: schwedisches Modell):
➞ WD Bundestag 2024: Einzelfragen der Wehrpflicht
Dazu passend die Kurzinformation:
➞ WD Bundestag 2024: Spannungsfall und Wiedereinführung der Wehrpflicht
| Für diejenigen in der Gruppe, die sich mit der Aufarbeitung der Aussetzung der Wehrpflicht, die 2011 vollzogen wurde, befassen müssen, ist der Abschlussbericht einer hochrangigen Kommission interessant, die 2010 vorgelegt wurde und die vom damaligen Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, (CSU) beauftragt wurde. Sie stand unter der Leitung des damaligen Vorstandsvorsitzenden der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise. Auch aufgrund deren Empfehlungen für eine „neue, modernere“ Bundeswehr (bzw. wurden die Empfehlungen der Kommission für einen Umbau der Bundeswehr als Legitimation für die Aussetzung verwendet) wurde dann die Wehrpflicht ausgesetzt: ➔ Strukturkommission der Bundeswehr (2010): Vom Einsatz her denken. Konzentration, Flexibilität, Effizienz. Bericht der Strukturkommission der Bundeswehr, Berlin, Oktober 2010 |
Übrigens – eine wichtige Rolle in der aktuellen Diskussion über eine Dienstpflicht in Deutschland spielt der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der seit längerem „einen verpflichtenden Dienst an der Gesellschaft“ (er nennt das „soziale Pflichtzeit“) plädiert. Hier mal ein Beitrag von ihm, der 2024 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) als Gastbeitrag erschienen ist:
➔ Frank-Walter Steinmeier (2023): Ein Dienst zur Stärkung unserer Demokratie, in: FAZ, 26.05.2023
(07.04.2025) Und hier erste Bruchstücke aus der aktuellen Medienberichterstattung zu dem Thema – und das ist nur die erste Lieferung (zum Warmwerden):
➔ Frank Specht (2025): Wehrpflicht, Freiwillige oder Dienstpflicht für alle?, in: Handelsblatt Online, 06.04.2025: »Union und SPD sind noch uneins, wie die Bundeswehr auch personell rasch kriegstüchtig werden kann. Jedes der diskutierten Modelle hat Vor- und Nachteile.«
In der evangelischen Zeitschrift „Chrismon“ wurde die Pro- und Contra-Perspektive zu einer Reaktivierung der Wehrpflicht bzw. die Einführung einer Dienstpflicht in Form von zwei Kommentierungen veröffentlicht:
➔ Constantin Lummitsch (2025): Nie wieder Musterung!, in: Chrismon Online, 07.04.2025: »Bei der Diskussion um eine neue Dienstpflicht geht es nur noch um das Wie. Dabei sollten wir diesen Zwangsdienst lieber lassen, zu viel spricht dagegen. Ein Kommentar.«
➔ Erika von Bassewitz (2025): Stärke zeigen, in: Chrismon Online, 07.04.2025: »Deutschland sollte Stärke zeigen, um den Frieden zu wahren. Deshalb kann eine allgemeine Dienstpflicht zielführend sein – solange sie zeitgemäß aufgesetzt wird. Ein Kommentar.«
Und wenn wir uns schon im kirchlichen Bereich bewegen, dann passt aus dieser kurze Artikel dazu: So steht die Caritas-Präsidentin zur Wehrpflicht und Dienstpflicht (04.04.2025): »Caritas-Präsidentin Eva-Maria Welskop-Deffaa ist gegen eine Rückkehr zur Wehrpflicht und verpflichtende Sozialdienste in Deutschland.«
Zu dem Vorschlag der Grünen, ein sogenanntes „Freiheitsjahr“ bzw. einen „Freiheitsdienst“ einzuführen:
➔ Petr Jerabek und Eva Eichmann (2025): Dienstpflicht für alle bis 67? Debatte über Grünen-Vorstoß, in: BR Online, 31.03.2025: »Sechs Monate „Freiheitsdienst“ für alle zwischen 18 und 67: Bayerns Grünen-Fraktionschefin Schulze plädiert für eine Dienstpflicht, die nicht nur für junge Menschen gilt. Die CSU begrüßt den „Sinneswandel“ der Grünen, hat aber andere Vorstellungen.«
Und hier passend:
➔ Stephanie Munk (2025): Diskussion über Wehrpflicht bis 67 – „Nur gut drüber reden wird nicht funktionieren“, in: Münchner Merkur Online, 03.04.2025
»Vor knapp drei Jahren startete Russland den Angriffskrieg gegen die Ukraine. Auch jetzt ist noch kein Ende des Konflikts in Sicht. Um die Bundeswehr zu stärken, ist immer wieder eine allgemeine Dienstpflicht im Gespräch. Doch würde die uns überhaupt helfen?« Dazu dieses Interview:
➔ Carlo Masala: „Eine allgemeine Dienstpflicht löst die Probleme der Bundeswehr nicht“, in: SWR Online, 11.02.2025
Die Diskussion über eine Reanimation der Wehrpflicht läuft schon seit längerem. Hier ein Artikel von mir aus dem Jahr 2023:
➔ Stefan Sell (2023): Von der (Nicht-)Wiederbelebung der (ausgesetzten) Wehrpflicht über eine „soziale Pflichtzeit“ hin zu einem kleingeschredderten Drei-Monats-Pflichtdienst-Stöckchen im Sommerloch 2023. Aber real sind handfeste Kürzungen bei den Freiwilligendiensten, in: Aktuelle Sozialpolitik, 22.07.2023