Plakate und ihre Bedeutung für einen modernen Wahlkampf. Wie kommt man zu den Befunden über die (angebliche) Wirkung von Wahlplakaten?

Es wird den einen oder anderen überrascht haben, was ich in dem Beitrag Altmodischer Wahlkampf mit Plakaten. Kann weg – oder doch nicht? berichtet habe: »Sie sind altmodisch, billig und technisch simpel. Trotzdem hängen Wahlplakate auch in unserer digitalen Zeit noch gefühlt überall. Und das angeblich zu Recht, so Fachleute.« Und zu diesen Fachleuten konnte man lesen: »Obwohl Wahlplakate im Vergleich zu anderen Medien wie dem Fernsehen oder dem Netz älter, technisch einfacher und oft schlichter sind, erreichen sie mehr potentielle Wählerinnen und Wähler. Plakate hätten von allen Wahlkampfinstrumenten der Parteien die größte Reichweite, sagt der Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim über Wahlplakate.«

Darüber wird auch an anderer Stelle berichtet, vor dem aktuellen Hintergrund der Europawahl (400 Millionen Menschen sind EU-weit zur Wahl aufgerufen) und der Kommunalwahlen, die in acht Bundesländern ebenfalls am 9. Juni 2024 stattfinden werden, so in diesem Beitrag: Wer braucht denn noch Wahlplakate? »Wenige Sekunden entscheiden darüber, ob uns ein Wahlplakat anspricht. Viele Motive überzeugen nicht, dennoch geben Parteien weiter viel Geld für klassische Großplakatierung aus.«

Warum plakatieren Parteien (weiterhin) die Landschaft?

Plakate sollen an den Wahltermin erinnern

„Das klassische Wahlplakat ist extrem wichtig, um den Leuten klar zu machen, hallo, da ist eine Wahl“, sagt die FDP-Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die schon im Januar ihr zentrales Wahlkampfmotiv sehr gezielt in die sozialen Medien gab: Es zeigt die Verteidigungsexpertin mit hochgestelltem Mantelkragen mit der Headline „Eurofighterin“. „Wir haben oft darüber diskutiert, ob das eigentlich noch nötig ist in der virtuellen Welt“, so Strack-Zimmermann.

Und was ist dabei rausgekommen?

»Wir haben festgestellt: Erst wenn die Plakate rauskommen, registriert ein Großteil der Menschen, dass eine Wahl ansteht.« (Marie-Agnes Strack-Zimmermann, FDP)

Die Politikerin bekommt Schützenhilfe von einem Kommunikationswissenschaftler, dem Sie schon im letzten Beitrag begegnet sind: Frank Brettschneider von der Uni Hohenheim forscht seit Jahren zur Wirkung von Wahlplakaten und gibt ihr Recht:

»Das Plakat bleibt das Wahlkampfinstrument Nummer eins, mit der größten Reichweite über verschiedene Bevölkerungsgruppen hinweg.« (Frank Brettschneider, Universität Hohenheim)

Der wird mit einem Negativ-Beispiel zitiert:

Besonders oft negativ aufgefallen seien Brettschneider immer wieder Plakate der Linkspartei. „Das hat gar nichts mit dem politischen Inhalt zu tun“, versichert er. „Aber die Linke hat oft völlig überfrachtete Textplakate, man sieht fast nur Schrift und wenn die dann noch in Großbuchstaben hingeknallt wird, in aggressiven Farben, dann funktioniert das gar nicht.“

Aber wie kommt der Wissenschaftler zu seinen Aussagen hinsichtlich der Wirkweise von Wahlplakaten?

Wissenschaftlich erforscht: Der Bild-Überlegenheitseffekt

»Brettschneider zeigt seinen Studienteilnehmern verschiedene Wahlplakate auf dem Bildschirm und misst auf die Zehntelsekunde genau, welche Stellen wie lange und in welcher Reihenfolge angeschaut werden. Er lässt die Motive bewerten und fragt die Teilnehmer zwei Wochen später noch mal, woran sie sich erinnern. „An Textplakate erinnert sich keiner“, so der Kommunikationsprofessor. Dazu am besten wenig Schrift, die aber kontrastreich ist, so dass man sie auch bei Schmuddelwetter im Vorbeifahren aus dem Auto noch lesen kann. Fertig ist die Gebrauchsanleitung für ein gutes Wahlplakat.«

»Bilder werden schneller betrachtet und länger fixiert als Textpassagen und deutlich besser erinnert.« (Frank Brettschneider, Universität Hohenheim)

Allerdings seien die meisten Plakate schlecht gemacht, urteilt Brettschneider. Als ein Positivbeispiel nennt er das von Joschka Fischer 2002: „Außen Minister, innen grün.“ Wunderbar subtil sei das gewesen, „einfach ein tolles Wortspiel.“

Aber wie bekannt: Eher nur eine indirekte Wirkung

»Die Motive hätten eher eine indirekte Wirkung, indem Wähler an die wichtigsten Themen der einzelnen Parteien erinnert werden, wie zum Beispiel SPD und Soziales, Union und Sicherheit, Grüne und Umwelt.«

»Die Grünen aber verlassen diesmal das gewohnte Themenspektrum, wenn sie in der zweiten Welle ab 9. Mai zwei weitere Plakate ausrollen: Annalena Baerbock mit dem Slogan „Europas Freiheit verteidigen“ und Robert Habeck mit „Wohlstand erneuern“. Ob das funktionieren wird? Brettschneider bezweifelt es.« Und überhaupt: Wieso plakatiert man Baerbock und Habeck, wo doch beide bei der Europawahl gar nicht antreten?

Bleibt die hier relevante Fragen: Mit welchen Methoden hat man die (Nicht-)Wirkung von Wahlplakaten erforscht?

Dazu habe ich Ihnen in den Materialordner auf der Olat-Seite zwei Artikel eingestellt:

➔ Stephanie Geise und Frank Brettschneider (2010): Die Wahrnehmung und Bewertung von Wahlplakaten: Ergebnisse einer Eyetracking-Studie, in: Thorsten Faas et al. (Hrsg.): Information – Wahrnehmung – Emotion. Politische Psychologie in der Wahl- und Einstellungsforschung, Wiesbaden

➔ Steffen Pappert und Waldemar Czachur (2019): Visueller Populismus: Eine Analyse multimodaler Praktiken anhand von Wahlplakaten aus Deutschland und Polen, in: Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie 95, 2019, S. 103–127

Ihre Aufgaben:

➔ Bitte lesen Sie den Beitrag von Geise und Brettschneider (2010) und versuchen Sie, das dort vorgestellte methodische Vorgehen zusammenzufassen und geben Sie dann eine kritische Einschätzung der Methodik hinsichtlich der daraus abgeleiteten Wirkungsaussagen.

➔ Bitte lesen Sie dann den Beitrag von Pappert/Czachur (2019) und vergleichen Sie deren methodisches Vorgehen mit dem von Geise/Brettschneider. Was sind die Gemeinsamkeiten bzw. die Unterschiede?

➔ Welcher Ansatz ist aus sozialwissenschaftlicher Sicht überzeugender und warum?