In Großbritannien beginnt eine Corona-Aufarbeitungskommission mit ihrer Arbeit. In Deutschland haben wir wenigstens Hirschhausen im Fernsehen

Ich hatte hier bereits am 10. Mai 2023 in meinem Beitrag In Deutschland fordern einige die Einsetzung einer Kommission zur Aufarbeitung der Corona-Pandemie, in Frankreich versuchen andere, die Erinnerung zu institutionalisieren darauf hingewiesen, dass es neben der Diskussion, ob und wie und wann man die Erfahrungen in der Corona-Pandemie in Deutschland aufarbeiten sollte, auch in anderen Ländern Bestrebungen gibt, das zu tun.

Aus Großbritannien wird berichtet, dass dort in diesen tagen eine hoch offizielle Covid-19-Untersuchungskommission die Arbeit aufgenommen hat: Die UK Covid-19 Inquiry.

Dazu Robert Booth im Guardian unter der Überschrift What will the Covid inquiry look at – and when will we get answers? am 13. Juni 2023: »Independent inquiry begins hearing evidence on Tuesday – but is not due to conclude until 2026.«

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wird unter der Überschrift Erste Anhörung zur Aufarbeitung der Corona-Pandemie in Großbritannien berichtet: »In Großbritannien beginnt die erste öffentliche Anhörung zur Aufarbeitung der Corona-Pandemie. Das Land verzeichnete eine der höchsten Pro-Kopf-Todesfallzahlen in Europa.« Danach habe am Dienstag »die erste öffentliche Anhörung zur Reaktion der britischen Regierung auf die Covid-19-Pandemie stattgefunden. Unter dem Vorsitz der ehemaligen Richterin Heather Hallett begann die erste Phase der Untersuchung, in der festgestellt werden soll, ob Großbritannien ausreichend auf die Pandemie vorbereitet war, ob die Reaktion darauf angemessen war und welche Lehren für die Zukunft gezogen werden können.
Die Anhörung begann mit auf Video aufgezeichneten Berichten von Angehörigen von Corona-Toten, die aufgrund der strengen Kontaktbeschränkungen kaum Gelegenheit hatten, Abschied zu nehmen. Vor dem Gebäude hatten sich Menschen zu einer Mahnwache versammelt. Sie kritisierten teils, Angehörige ihrer Gruppe würden in der Untersuchung nicht ausreichend zu Wort kommen.
Im besonderen Blickfeld der Untersuchung dürften die Entscheidungen des damaligen Premierministers Boris Johnson und seines Kabinetts stehen. Johnson stand wegen seiner zögerlichen Haltung immer wieder schwer in der Kritik. Der erste Lockdown begann in Großbritannien erst am 23. März 2020. Auch im Kontext der Kontaktnachverfolgung und der Verfügbarkeit von Corona-Tests während der ersten Monate der Pandemie wurde die Regierung kritisiert.
Tausende Regierungsdokumente und Whatsapp-Nachrichten sollen jetzt dem Untersuchungskomitee helfen, sich ein Bild zu machen. Johnson hatte im Mai 2021 die unabhängige Untersuchung zur Handhabung der Pandemie durch die Regierung selbst angekündigt. Die öffentlichen Anhörungen im Rahmen der „Covid-19 Inquiry“ sollen 2026 abgeschlossen sein.
Im Vereinigten Königreich starben laut Sterbeurkunden etwa 227.000 Menschen an Covid-19. Das sind trotz geringerer Bevölkerung deutlich mehr als in Deutschland. Die Pro-Kopf-Todesfallzahlen in Zusammenhang mit einer Covid-19-Infektion in Großbritannien zählen insgesamt zu den höchsten in Europa.«

Bereits am 2. Juni 2023 wurde berichtet: Regierung verweigert volle Einsicht in Boris Johnsons Textnachrichten: »Die britische Regierung hat sich einer Anordnung widersetzt, dem Corona-Untersuchungsausschuss des Landes eine ungefilterte Sammlung der persönlichen Nachrichten des früheren Regierungschefs Boris Johnson zur Verfügung zu stellen. Mit dem Ablaufen einer Frist zur Einreichung von Dokumenten am Donnerstag lässt es die Regierung auf einen beispiellosen Rechtsstreit gegen eine Untersuchung ankommen, die Johnson als Premierminister noch selbst ins Leben gerufen hatte. Die Leiterin der Kommission, die frühere Richterin Heather Hallett, hatte darum ersucht, Notizbücher, Tagebücher und WhatsApp-Nachrichten zwischen Johnson und anderen einsehen zu können, die Beweismaterial darstellen könnten. Die Regierung war dem nur teilweise nachgekommen. Sie kürzte nach eigenen Angaben persönliche und private Informationen heraus, die „eindeutig irrelevant“ seien. Hallett, die in ihrer Rolle befugt ist, Beweise anzufordern und Zeugen unter Eid zu befragen, möchte dies jedoch selbst beurteilen. Die von ihr … festgesetzte Frist zur Einreichung der vollständigen Dokumente, die eine Periode von zwei Jahren, beginnend Anfang 2020, abdecken, ließ die Regierung verstreichen. Kurz danach erklärte die Regierung, sie werde die Anordnung vor Gericht anfechten.«

Kurze Zeit später dann solche Meldungen: Ex-Premier Boris Johnson übergibt Daten an Regierung: »Der ehemalige britische Premierminister Boris Johnson hat die von einem Untersuchungsausschuss geforderten WhatsApp-Daten an die Regierung gegeben. Den aktuellen Premier Rishi Sunak setzt das stark unter Druck.« Johnson habe sämtliche von einem Untersuchungsgremium geforderten WhatsApp-Nachrichten und Notizbücher an die Regierungsbehörde Cabinet Office ausgehändigt. »Der aktuelle Premier Sunak war damals Finanzminister. Spekuliert wird daher, dass er und weitere Kabinettsmitglieder fürchten, in der WhatsApp-Korrespondenz Johnsons könne auch für sie kompromittierendes Material sein. Außerdem stehen im nächsten Jahr nationale Wahlen an.« Und das ist wohl kein Nebenkriegsschauplatz: »Dass in London selbst wichtige Absprachen innerhalb der Regierung per WhatsApp erledigt werden, ist seit langer Zeit ein offenes Geheimnis.«

Man darf gespannt sein, ob und was diese Untersuchungskommission zu Tage fördert (oder nicht).

Und bei uns in Deutschland? Wir haben Hirschhausen (im Fernsehen)

Man soll bekanntlich vor der eigenen Haustür kehren und Sie haben ja bereits in dem Seminar lernen müssen, dass man bei uns in Deutschland noch darüber nachdenkt bzw. streitet, ob und wie und wann man das, was wir alle in den zurückliegenden Pandemiejahren erlebt haben, aufarbeitet (oder kritisiert oder am liebsten verurteilen möchte).

Bei uns wird vor allem abgewickelt. Dazu nur ein Beispiel aus der Berichterstattung: Landesregierung in Thüringen löst Coronabeirat auf: »Der Coronabeirat der Thüringer Landesregierung stellt seine Arbeit ein. Das Kabinett beschloss heute die Auflösung des Expertengremiums, wie die Staatskanzlei mitteilte. Der Coronabeirat unter Führung von Petra Dickmann von der Friedrich-Schiller-Universität Jena wurde 2020 einberufen und sollte die Landesregierung beim Steuern durch die Coronapandemie beraten. Laut Staatskanzlei arbeitete der Beirat ehrenamtlich. „Seine Mitglieder erhielten weder Sitzungsgeld noch Honorar für Gutachten beziehungsweise Empfehlungen oder sonstige Entgelte für ihr Engagement“, hieß es in einer Mitteilung. Demnach gab es 53 Sitzungen des Beirates. Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) und die Landesregierung dankten dem Gremium für „unabhängige sowie stets wertvolle und transparente Beratungsarbeit“.«

Einer der bekannten Fernsehgesichter in diesem Land, Eckart von Hirschhausen (laut Wikipedia „ein deutscher Arzt, Fernsehmoderator, Kabarettist, Comedian, Webvideoproduzent, Schauspieler, Fernsehproduzent, Wissenschaftsjournalist und Schriftsteller“) hat eine Bestandsaufnahme versucht. Die wurde am 12. Juni 2023 im ARD-Fernsehen unter dem Titel Hirschhausen – was von Corona übrig bleibt ausgestrahlt: »In seiner fünften Reportage zum Thema Corona zieht Eckart von Hirschhausen Bilanz. Haben die Impfungen mehr genutzt als geschadet? Warum gibt es noch immer keine zugelassenen Medikamente für Menschen, die an Long Covid leiden? Wie gut sind wir für die nächste Pandemie gerüstet? Er macht sich auf und besucht Betroffene, die er bei seinen letzten Corona-Dokumentationen kennen gelernt hat.«

Schauen Sie sich das am besten selber an: