Mehr als drei Jahre nach Beginn der Corona-Pandemie folgt das Auf und Ab der Infektionswellen keinem jahreszeitlichen Muster. Statt dessen reihe sich Mini-Welle an Mini-Welle, so die Einschätzung von Wissenschaftlern. „In einigen Ländern kommt es drei- oder viermal im Jahr zu einem Anstieg der Infektionszahlen, was vor allem an der rasanten Veränderung des Virus liegt“, schrieb der Evolutionsbiologe Trevor Bedford vom amerikanischen Fred-Hutchinson-Krebszentrum im Fachmagazin „Nature“. Laut Bedford mutiert das Spike-Protein des Coronavirus doppelt so schnell wie ein ähnliches Protein der saisonalen Grippeviren und etwa zehnmal so schnell wie die saisonalen Coronaviren, die banale Erkältungen verursachen. Das Virus sei „vielleicht weniger saisonal als das, was wir gewohnt sind“, erläuterte Bedford.
„Die Kombination von schneller Mutation und kurzlebiger menschlicher Immunität verhindert wahrscheinlich, dass Sars-CoV-2 in ein saisonales Zirkulationsmuster findet“, sagte der Evolutionsbiologe Tom Wenseleers von der Katholischen Universität im belgischen Löwen ebenfalls in „Nature“. Eineinhalb Jahren nach Auftauchen der Omikron-Variante sei die Zahl der Corona-Todesfälle weiterhin hoch – etwa zehnmal höher als normalerweise bei Influenza zu sehen sei. Dennoch führten die großen Infektionswellen nun zu kleineren Wellen bei den Klinikeinweisungen und Todesfällen. Die Muster dieser Mini-Wellen könnten von Land zu Land variieren. Ob eine neue Virus-Subvariante in einem bestimmten Land zu einem Anstieg der Infektionen führe, hänge nun wahrscheinlich von der Größe und dem Zeitpunkt der früheren Wellen in diesem Land ab, betonte Wenseleers.
Das Fehlen eines jahreszeitlichen Rhythmus wirft auch Fragen für das Timing von Corona-Impfkampagnen auf. Während Länder wie die USA, Großbritannien und Kanada einen Frühjahrs-Booster für Risikogruppen empfehlen, rät die Ständige Impfkommission beim Robert-Koch-Institut (Stiko) diesem Personenkreis zu einer jährlichen Auffrischimpfung „vorzugsweise“ im Herbst.
Unterdessen empfiehlt die EU-Gesundheitsbehörde ECDC konkrete Vorbereitungen auf neue Gesundheitskrisen. Die Stockholmer Behörde mahnt in ihrem heute vorgestellten Bericht unter anderem mehr Investitionen beim Gesundheitspersonal an, um künftige Pandemien einfacher stemmen zu können. Auch eine bessere Planung für den Krisenfall, standardisierte Entscheidungswege und bessere Managementstrukturen seien angezeigt. Ausgebaut werden müssten auch die Datenerhebung und -analyse.